Als ich im vergangenen Jahr in Vietnam war, bemerkte mein Freund, und dies wohl berechtigterweise, dass meine Lieblingsfotomotive immer und überall Kinder und alte Menschen seien.
Ich begeistere mich für das offene, einer unmittelbaren Gegenwart zusprechende Gesicht eines Kindes ebenso wie für die markanten, erzählenden Züge eines alten Menschen.
Die Kamera kann nie schnell genug sein, einen dieser kostbaren Blicke zu erhaschen.
Gleichzeitig stelle ich mir gerade bei den alten Menschen immer wieder die Frage: nehme ich ihnen mit dem Druck auf den Auslöser etwas weg von ihrem Leben? Darf ich? Ehe ich mir die Frage beantwortet habe, ist das Bild meist schon im Kasten. Und umso länger ich gezögert habe, desto unbefriedigender erscheint das Resultat.
Der alte Mensch hat einen Großteil seines Lebens schon gelebt, die Kindheit ist in weite Ferne gerückt und erscheint dennoch gerade durch den Abstand wieder sehr nah. Nicht selten finden wir an alten Menschen kindliche, unverhohlene Züge. Die größten Verantwortungen des Lebens in Verbindung mit Beruf und Familie sind beiseite gelegt und zurück bleibt das Bestreiten einer Gegenwart - einer Gegenwart, in die auch die Kinder tagtäglich einsteigen, ohne jedoch das Wissen um die Vergangenheit mit den Alten zu teilen. Oder gibt es gar ein geheimes Band, welches Kind und Greis verbindet?
Was bedeutet es, in der unmittelbaren Welt eines Kindes zu leben? Unsere Gedanken hierzu kreisen oft um Themen des Freiseins - frei zu sein von Verantwortung, Moralität, Zukunftsängsten, Erwartungsdruck. Dass dies aber ein Ideal ist, welches abhängig von Zeit und Raum starken Einschränkungen unterworfen ist und war, vergisst man allzu leicht. Die Kindheit wird gern, und war sie noch so schwer, mit einem nostalgischen Mäntelchen behangen.
In der Winterausgabe des Schöngeist-Magazins unternehmen wir einige leichtfüßige, aber auch wissbegierige und nachdenkliche Schritte in Kinderwelten. Hauptsächlich mit unseren Erwachsenenaugen, jedoch Hand in Hand mit dem wachen, kindlichen Blick an unserer Seite.
Wer es bunt bebildert mag, begibt sich mit Rodolfo in die Welt der Gestalter Aller Dinge und lässt sich dabei von den wunderbaren Illustrationen Wolf Erlbruchs begleiten, entdeckt die phantasievollen und ganz eigenen Gemälde behinderter Kinder und Jugendlicher oder lässt sich von der Kreativität zweier interessanter Designer im Holzgestaltungsbereich für Kindermöbel und Kinderspielzeug inspirieren. Wer gern und ausführlich liest, hat die Möglichkeit, in einigen längeren Artikeln etwas zur Geschichte der Kindheit zu erfahren, sich mit der Notsituation des Kinderalltags in Rumänien auseinanderzusetzen oder auch in die Umrisse einer recht merkwürdigen und aberwitzigen Welt des russischen Kinderbuchautors D. Charms, er wäre im nächsten Jahr 100 Jahre alt geworden, einzutauchen. Weitere kleinere Texte behandeln Eichhörnchen beim Nussball, das HautNahKino, die kindliche Lust, einer toten Möwe Vogelbeeren als Augen einzustecken, die schreckliche Angst vor dem Dunkel, die Verweigerung, erwachsenen zu sein sowie die Frage, was uns Kindheitsbilder, eingefangen in Schmalfilmkameras, wohl zu sagen haben.
Also dann, viel Spaß!
Tanja Porstmann |