Das Fremde begegnet uns jenseits eingeübter, gewohnter und vertrauter Pfade.
Das Fremde reizt, verwundert, verstört, betört, macht bisweilen Angst. Das Fremde erfordert unsere Wachheit und fordert unsere Begegnungsfähigkeit heraus. Öffnen wir uns oder verschließen wir uns? Nehmen wir wahr oder stellen wir uns blind?
Die Begegnung des Fremden kann uns helfen, unsere Grenzen und Maßstäbe, die wir gespiegelt bekommen, bewusst wahrzunehmen, zu reflektieren und gegebenenfalls zu modifizieren. Hat nicht jeder schon einmal Menschen erlebt, die nach der Rückkehr von einer längeren Reise in einen anderen Kulturkreis nicht mehr dieselben waren wie vorher? Die man wie ausgewechselt erlebte, bestückt mit neuen Ansichten und Verhaltensweisen? Und fühlte man sich selbst nicht schon oft sehr fremd, bewegte man sich in einem Land, dessen Sprache man nicht spricht? Dessen Kultur sich anhand des Unvermögens, Gespräche zu verfolgen, Worte und Bedeutungen zu entziffern nicht zu erschließen vermochte? Und was tat man dann?
Das fremde Andere fordert zur Auseinandersetzung heraus. Der Bruch markiert eine Bewegung, eine Verschiebung. Etwas passt nicht aufeinander und erhebt Anspruch, passend gemacht zu werden, will man es verstehen oder in eine Stimmigkeit umwandeln.
Und nicht selten weicht der anfängliche Schmerz der Fremdheit, resultierend aus dem Gefühl einer Ermangelung behaglicher Vertrautheit, kraftvollen und starken Gefühlen von Weite und Freiheit. Stetig auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wo sich unsere Heimat befindet, mag uns das Fremde bisweilen darauf stoßen. Wir stolpern über die Frage genauso wie wir an der Auseinandersetzung mit ihr zu wachsen vermögen.
Es war mir noch bis vor kurzem ein Rätsel, wie diese Ausgabe von Schöngeist letztlich bestückt sein würde - das Fremde schien wenig berechenbar. Einige Ideen, die ich fest im Kopf hatte, haben keinen Platz gefunden, andere wiederum ergaben sich spontan und unerhofft. Lesen und blättern Sie selbst. Sie werden vordergründig auf das Thema "fremde Welt" stoßen. Die Welt in ihrer Abstraktheit an sich und in ihrer gesellschaftlichen Komplexität bietet Raum für Auseinandersetzung.
Hervorheben möchte ich die Fotografien von Thomas Zika, die in ihrem Perspektivenreichtum eine vielbewegte Annäherung an das Thema schaffen, die Malerei von Annette Lucks, die im engen und organischen Zusammenhang steht mit den poetisch-philosophischen Weltbetrachtungen von Andreas Steffens, ein langfristig angelegtes Webcam-Projekt von Jens Sundheim und Bernhard Reuss sowie analysierende Blicke auf die Medienwelt hinsichtlich des Weltweitwerdens von Torsten Meyer oder auf das Verhältnis zum Körper, veranschaulicht in der Betrachtung einer skandalumwitterten Sexliteratur durch Christoph Klotter. Nicht zu vergessen auch die autobiografische Welt des Autisten Axel Brauns, fragmentarisch eingebunden in einen Artikel, der schemenhaft Wahrnehmungsspielräume ins Auge fasst.
Tanja Porstmann |