Liebe Leserinnen und Leser,
Das Tier ist und bleibt das Tier. An ihm entzündet sich sehr direkt die Frage, was Menschsein bedeutet. Als des Menschen Begleiter sehen wir es auf der Erde wandeln. Sprechen wir vom Begriff Natur, stellen wir es vor den Menschen. Zusammen mit den Pflanzen erscheint uns eine Artenvielfalt, die das Antlitz unseres Planeten in unglaublicher Fülle bereichert - die jedoch, jeder weiß es, im Schwinden begriffen ist. Dieses Schwinden wirft die Frage nach dem Menschsein noch bedrohlicher auf. Was ist der Mensch und was will er? Das Tier in seiner körperlichen Präsenz ist ihm so nahe wie fremd. Der Blick auf das Tier kann uns gefangen nehmen, entrücken, verschlingen. Unser Bewusstsein spielt mit der Existenz, ist es ihr doch in einer Weise verschrieben, die das Tier nicht kennt. Durch das Distanznehmen geraten wir in Distanz zu uns selbst, erfahren wir aber erst dieses "Selbst". Eine zweite Unmittelbarkeit erreicht uns, die uns von der ersten trennt. Das Tier hält uns einen Spiegel, vor dessen Blick wir uns scheuen. Das Bild verschwimmt, zerfließt, erstarrt im Irgendwo. Wir wissen nicht. Das Tier fordert uns gerade an dieser Leerstelle heraus.
Der Blick der Wissenschaft auf das Tier ist eben dieser menschliche Blick. In all seiner Größe bleibt ein Bruch immer bestehen.
Statt der üblichen Vorausblicke in die Beiträge der Ausgabe möchte ich an dieser Stelle drei Inspirationen zum Thema nennen, die Sie nicht im Heft finden. Zum einen die anregenden Beobachtungen und Studien des Naturwissenschaftlers Jakob von Uexküll. In anschaulicher und stets hinterfragender Weise stellte er seine Beobachtungen zum Tier in seinem Wirk- und Lebensraum in ein komplexes und lebendiges Forscheruniversum. Lesenswert sind z. B. seine fast skurril anmutenden Ausführungen zur Zecke. Rupert Sheldrake beschäftigt sich im Rahmen seiner Theorie zu den morphischen Feldern mit den mysteriösen Anklängen tierischer Fähigkeiten. Empathie, Telepathie, Orientierungssinn, Vorahnungen. Wie ist es möglich, dass ein Tier seine verzogenen "Besitzer" über Tausende von Kilometern wieder findet? Und: Über die Nähe zum Tier als Haus- und Nutztier vergessen wir fast die unzähligen verborgenen Tiere in der Wildnis. Der kürzlich erschienene Kinofilm Unsere Erde spürt in faszinierenden Bildern, eingefangen vom Filmteam um den Regisseur Alastair Fothergill auf einer Route von Nord nach Süd der Vielfalt der Lebensformen, ihrer erstaunlichen Fähigkeiten aber auch ihrem Kampf ums Überleben nach. Menschlicher Missbrauch, Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels und Erhalt der Biodiversität als eine der dringlichsten Aufgaben unserer Zeit stehen allein über die Schönheit der Bilder im Raum.
Tanja Porstmann |